Im Paradies braucht man kein warmes Wasser

Kinder sind etwas wunderbares, denn sie lehren uns, die Welt durch ihre unbeschwerten Augen zu sehen und somit das Wesentliche zu erkennen.

Bereits der Landeanflug auf Tonga ist spektakulär. Es ist, als ob die Natur sich selbst übertreffen wollte mit den unterschiedlichsten Nuancen von blau und grün, in denen das Meer erstrahlt. Das Königreich Tonga besteht aus über 160 Inseln. Nicht alle sind bewohnt. Einige bilden nur eine kleine Erdmasse mit ein paar Palmen und viel Strand, umringt von bunten Korallenlandschaften, emsigen Fischschwärmen und glitzerndem türkisfarbenen Meer. Es gleicht tatsächlich den fast zu kitschig anmutenden Südsee-Postkarten. Ein wahr gewordener Traum.

Am kleinen Flughafen von Nukualofa angekommen ist der Tumult und das Gedränge groß. In unterschiedlichen Schlangen geht es durch die Passkontrolle und bald haben unsere Reisepässe einen weiteren Stempel. Allerdings ist mir schleierhaft, wieso der Stempel grundsätzlich nie auf einer freien Seite gemacht wird, sondern am liebsten dort, wo bereits viele andere Souvenire sind – in meinem Fall befindet sich nun der Stempel aus Tonga auf dem Stempel aus Uruguay. Auch bei der Gepäckausgabe geht es turbulent zu. Wie durch ein Nadelöhr drängen die Menschen durch eine schmale Tür, um zur Ausgabe zu gelangen. Das Gepäck wird durch offene Fenster auf den Boden gelegt und die Passagiere versuchen, Schulter an Schulter, ihren Koffer zu identifizieren und anschließend gegen die Strömung der Menschenmenge zum Ausgang zu bringen. Wie bei jedem Inselstaat gibt es strenge Einfuhrregeln. Wir dürfen ohne Durchsuchung passieren, da wir nur Babynahrung dabei haben und lassen das Menschengewusel bald hinter uns.

Auf unseren Reisen freue ich mich jedesmal über solche Momente, in denen mir bewusst wird, dass wir Situationen stets durch unsere eigene kulturelle Brille betrachten. Als ehemalige interkulturelle Trainerin finde ich diese Ereignisse immer besonders spannend. Zum Beispiel auch die Fluganzeige des nationalen Airports auf Tongatapu: Eine Tafel, auf der handschriftlich und mit mir unbekannten Abkürzungen die Flugdaten der einzelnen Maschinen des jeweiligen Tages vermerkt sind. Während in Deutschland versucht wird, durch klare Prozesse, Ordnung und Effizienz zu schaffen, kommen andere Kulturen auf kreative Weise zum gleichen Ergebnis. Manchmal ist halt weniger mehr.

Dies trifft auf jeden Fall auch auf „unsere“ Insel zu. Mit dem Auto geht es quer über die Hauptinsel von Vava’u, Neiafu, und mit dem Boot weiter auf die Insel Mala, auf der wir die kommenden 3 Wochen verbringen werden. Auf dieser kleinen Insel gibt es nur ein Resort mit ein paar Bungalows – alle mit traumhaftem Meerblick. Leider ist dieses Resort deutlich in die Jahre gekommen und wir waren sichtlich geschockt, den „Bungalow“ zu sehen, wo wir die nächsten 3 Wochen verbringen sollten. Traditionell aus Bambus gebaut, bot er zwar eine authentische Unterkunft aber die Frage war, ob wir soviel Authentizität verkraften wollten. Innen roch es entsprechend muffig, es war sehr duster, die Einrichtung – allen voran die Betten – boten nicht den einladensten Eindruck zum Verweilen oder gar zum Schlafen. Zumindest nicht für uns. Die Stechmücken, Ameisen und weitere Tierchen fanden die Spalten in den Bambuswänden und die neuen Gäste großartig. Das Bad war nicht viel besser, obwohl ich mich schon sehr darüber freute, eine Duschkabine und nicht einen Duschvorhang vorzufinden.
Da waren wir nun also. Mala Island. Nach vielen Flugstunden endlich in der Südsee, mit einer traumhaften Kulisse vom Balkon aus und von so ziemlich jedem anderen Punkt der Insel. Aber wie paradiesisch ist die schönste Natur, wenn man nach jedem Schnorchelgang im türkisesten Wasser das Meeressalz mit kaltem, tröpfelndem Regenwasser abspülen muss? Und wie muss es für ein Baby sein, das bisher nur warmes Badewasser gewohnt war?
4 Amerikaner, die einen Tag nach uns ankamen, sind sofort wieder abgefahren und haben sich eine neue Unterkunft gesucht.
Wir sind jetzt bereits eine Woche hier (02.09.2016). Ja, es hat gedauert, bis wir uns von unseren als selbstverständlich erachteten Wohnstandards endlich befreien und das Wesentliche erkennen und genießen konnten. Und es hat gedauert, bis wir in dem Bett schlafen konnten ohne es vorher nach ungewollten Mitbewohnern abzusuchen oder ins Bad zu gehen ohne vorher das Licht anzumachen und ein paar Sekunden abzuwarten. Aber nach jeder Nacht begrüßt uns der beste Ausblick, den man sich wünschen kann: Unberührte Natur, funkelndes, kristallklares Wasser, in dem einzelne Sonnenstrahlen glitzern, zierliche Kokosnusspalmen, die leicht im Windhauch schaukeln und vor allem eine ohrenbetäubende Stille, die nur manchmal unterbrochen wird von leisen, rhythmischen Wellen, Vogelgezwitscher und Blättergeraschel. Valerie freut sich täglich über ihr warmes Badewasser, das sogar Wellen macht und jeden Tag neue Muscheln zum Entdecken bietet. Am meisten freut sie sich über die Eigentümer des Resorts, die sie immer freudestrahlend begrüßt und innerhalb kürzester Zeit im Arm von Olivia irgendwohin verschwindet, so dass nur noch ihr Glucksen uns verrät, wo sie gerade steckt und dort meistens mit den drei Kindern von Olivia spielt.
Ja, manchmal ist weniger vom Unwichtigen eben mehr vom Wesentlichen. Und wer braucht im Paradies schon warmes Duschwasser?